Katalog zum Anlaß der Nexus II - Ausstellung im Mittelrhein-Museum Koblenz, 2014, Koblenz
OGIVES
Manfred Schling
Für seinen Dialog mit einem ‚alten Meister‘ hat sich der Berliner Künstler Manfred Schling zwei
kleinformatige Werke aus der musealen Sammlung ausgesucht: Die zwei Holztafeln Gotische Kirchenruine
und Antike Ruine des deutschen Malers Johann Ludwig Ernst Morgenstern sind Dreh- und Angelpunkt der
zweiteiligen Arbeit Schlings.
Die erdfarbenen Architekturelemente der Ruinenmotive in den beiden Gemälden von Morgenstern sind keinem
realen Bauwerk zuzuordnen. Sie können als Ausdruck eines romantisierenden Blickes auf Vergangenes
verstanden werden. Spitzbögen, Gewölbe und Säulen sind die dominierenden Elemente einer als ‚antikisch‘
und ‚gotisch‘ gedachten Formensprache. Gewölbefragmente bilden die Kulissen einer sich im Hintergrund
verlierenden Landschaft. Eine mögliche detailliert-genaue Darstellung der Bauelemente wird dabei
der allgemeinen Stimmung der Szene untergeordnet.
In Schlings Arbeit sind es denn auch diese bezeichnenden Bögen Morgensterns, die ihm als Bildanlass dienen.
Und so wie es sich bei den Ruinen nicht um konkrete Orte handelt, sollen auch Schlings Ogives nicht Teil
eines nachvollziehbaren architektonischen Gerüstes sein, sie sollen vielmehr unbestimmt und nicht greifbar
bleiben. Eingegraben in eine mehrschichtige, reliefartige Oberfläche ist ihnen der Charakter des
Kryptischen eigen; sie erscheinen in einer Art ‚Zwischenwelt‘ - zwischen Gegenstand und Abstraktion.
Das bevorzugte Material des Künstlers ist Quarzmehl: Schrundig und brüchig aufgetrocknet bildet es den
Grund für lasierende Farbflüsse. In beinahe steinernen Strukturen verfestigt sich das Spontane. Die
aufgestäubten Pigmente finden Halt in der aufgerauten, porösen Oberfläche. Durch wiederholtes Auftragen
und Aus-waschen der Farbe entsteht das Bild als Erosion. Entscheidend bleibt das fliehend Verletzliche‚
die im Malprozess Ausdruck findenden Spuren der Zeit.
Morgensterns präzise ausgearbeitete Architekturansichten eines irrealen Ortes zeugen von einer
Vergangenheitssehnsucht, auf die Schling mit den ihm eigenen bildsprachlichen Mitteln reagieren und eine
Art informellen Reflex auf Vergängliches zum Vorschein bringen wollte. Die ‚romantischen‘ Ruinen
Morgensterns sind realistisch anmutende Darstellungen imaginierter Orte. Auch Schlings Werk Ogives will
nicht reales Abbild sein, sondern offeriert dem Betrachter mittels fokussiert-konkreter Formbezüge, die
allerdings ohne kontextuelle Einbindung gleichsam im Abstrakten verhaftet bleiben, eine sensibel formulierte
Einladung zur Kontemplation.