Verdeckte Malgründe
"Zeichen - Gesten - Bilder" von Manfred Schling im Künstlerhaus Kiel
Ein „junger Wilder" ist er nicht, eher in bewußter Distanz ein rationaler Romantiker:
der in Berlin lebende Maler Manfred Schling (1951 geb.). Er teilt das Atelier mit
Dirk van der Meulen, einem agressiveren Maltemperament, der in dem edel gedruckten
Katalog seinem Freund eine Hommage von explodierender Sprachgewalt darbringt.
Dreißig großformatige Bilder und vier kleinere, »Zeichnungen« genannt, Werke aus den
letzten drei Jahren, zeigt Schling in der Ausstellung im Künstlerhaus am Seefischmarkt,
die in Zusammenarbeit mit der Galerie Wewerka/Berlin zustande kam. Hier schmort die
Kunstszene in Schleswig-Holstein 'mal nicht im eigenen Saft. Das Künstlerhaus, vormals
im Museum Sophienhof und seit gut einem Jahr auf dem fast stillgelegten Fabrikgelände
an der Schwentine, hat mit den riesigen Hallenräumen gute Voraussetzungen für große,
freie "Kunstsalons". Der Kunstbesucher erlebt hier so etwas wie eine freie Atmosphäre
von Atelier und Werkstatt, von künstlerischer Produktion. Halb fertig, ja provisorisch
mit interessanten und selbst schon wieder künstlerischen, spurensichernden Defekten in
Mauer und Decke, wirkt dieses Kunst-Ambiente schon, das derzeit in einer Phase der
Neuorientierung schwebt.
Daß Kunst vor solchem Hintergrund wirkt, beweisen die Bilder von Manfred Schling, die
gegen die groben, geweißten Mauern ihre Farbwerte voll ausreizen, Platz genug haben und
doch am Ende ein homogenes Gesamtbild einer Ausstellung ergeben. Dieser Eindruck wird
sicherlich auch durch die au fond gleichartige Technik der Bilder gefördert. Schling
arbeitet in Mischtechniken meist auf Nessel; d.h. der Malgrund wird mit einem Gemisch
aus Quarzmehl, Marmorstaub und Bindemittel präpariert. Darüber ergießt sich dann ein
breiter Farbstrom, der mit wohl kalkuliertem Kurs in dem rauhen, körnigen Farbbett seine
ungleichen Spuren hinterläßt. Die dichte Farbdecke scheint wie eine strapazierte
Außenhaut die Bilder gegen Aufdringlichkeit, gegen zu schnelles »Erkennen« schützen zu
wollen. Verletzungen ihrer Poren hat sie dennoch erfahren durch brüchige, körnige, sanft
reliefierende Strukturen und Einritzungen. Dazu graphische Elemente, oft nur kürzelhaft
verwischt, Schriftzüge, die wie Graffiti wirken, darüberhinaus dem Künstler ganz banal
zur Kennzeichnung seiner Bilder dienen. Reale Partikel, Stoffreste und Zeitungsfetzen
collagiert er subtil mit dem Gemalten. Sie setzen Akzente als schmale Figuren (»C.D. und
die anderen«, »Die Beiden«) oder sind einfach immerwährendes symbolisches Zeichen wie
das Dreieck, das Schling oft variiert. Dreick-Segel schwimmen ja immer wieder plakativ
auf blauen Farbgründen (»Favoriten«, »Segel«, »Morgendreieck«). Seit der gut besuchten
Feininger-Ausstellung letztes Jahr müßte das Kieler Publikum dieses Motiv auch hier
favorisieren.
Das Bild »Diptychon II«, sandgelb mit untermischten grauen und bläulichen Tönen, strahlt
mit seiner steinfarben verhärteten Oberfläche nicht nur visuelle, sondern auch starke
taktile Reize ab. Das hat in jeder Hinsicht etwas Klassisches, in der Abstraktion wie
im Thema. Solche Effekte, in großen Formaten inszeniert, sind das künstlerische Ergebnis,
aber was ist das Thema des Malers? Seine Bildtitel klingen oft poetisch-romantisch
(»Nocturno«, »Romanze«, »le vague à l'âme") zielen auf Bildungszitate. Die Bilder selbst
sind sanfte Injektionen, unter der Farbdecke voll von letztlich zurückhaltend geäußerten
Empfindungen.
Die verdeckten Malgründe geben aber immer wieder »Zeichen« die konkrete Assoziationen an
Bildgewohntes zulassen. In jüngster Zeit versucht er, seinen Bildern einen mehr gestischen
impulsgesteuerten Duktus zu geben aber weitab von den »Wilden«. Manfred Schling schweigt
in der Farbe Blau, seit Cézanne das wirkmächtigste Kolorit der Moderne. Das »Konzert«
vibriert in hin- und herschwingenden Blauabtönungen, verdichtet sich in rotviolett
unterwanderte Blaus, darin man - als aufgeklebte Stoffsilhouette - ,den schwarz befrackten
Dirigenten agieren zu sehen glaubt. »Nachtwanderer«, unter den »gestischen« Bildern eins
der stärksten, zieht den Betrachter unmittelbar in den magischen Bann eines nachtblauen
Himmels aus sozusagen leuchtenden Stumpffarben. Von diesen beiden möchte man eines für Kiel
erhalten wissen. Neben so hervorragenden Arbeiten gibt es auch solche, die der Künstler
etwas zu eilig für fertig erklärt hat. Indes wird man ihn auch fürderhin im Auge behalten
müssen.