Chinesen im Sturm
Zwei Künstler in der Galerie Wewerka
Beide sind in den mittleren Dreißigern, kommen aus Berlin, der Geburtsstadt der „Wilden“ Malerei, und
üben sich dennoch in Zurückhaltung: der Maler Manfred Schling, ein Schüler von Fred Thieler, und der
Bildhauer Michael Friedrichs-Friedlaender. Wie wenig einer vom anderen die Konzentration abzieht, ja,
wie die Kombination ihrer Werke einen ruhigen Grundton ergibt und sich Plastik und Malerei optimal
inmitten streng weiß getünchter Räume entfalten können, zeigt jetzt die Galerie Wewerka am Kubus.
Schlings großformatige Bilder sind auf den ersten Blick abstrakte Farblandschaften. Da gäbe es die Gefahr
der Beliebigkeit. Doch bei genauerem Hinsehen entwickeln sieh vielfach aus der Rhythmik und Gegenrhythmik
der unterschiedlich aufgetragenen Farbschichten und Schattierungen, aus ihren Farbgraten, krusten uns
Schlieren, Sprenkelungen und Einritzungen lesbare Formen. Ein gewölbter Boden etwa, über den sich ein
(Schein-)Horizont breitet, hochgeschleudertes Wasser vor diffusem Hintergrund oder schräg gezogene,
stangenartige Linien, gleichsam vom Sturm gepeitscht, die Schling dann auch spielerisch "Landschaftlich
gesehen - drei Chinesen im Sturm" nennt. Melancholische Anthrazit-weißblau-Töne und gedämpfte Ockerfarben
bis hin ins Rostige dominieren.
Nicht alle Arbeiten sind so differenziert gemalt und so verdichtet wie das Bild "In der Höhle des Fürsten",
das mit der schmal gespannten dunklen Wölbung unter changierenden Farbhimmeln an die schwarzen Farbbögen
Emil Schumachers erinnert. Wie er, wie Tapiès, malt Schling bevorzugt in Mischtechnik, mit Öl, Sand und
Wasserfarben.
Und technische Möglichkeiten reizen auch Michael Friedrichs-Friedlaender. Daß er sein Handwerk beherrscht -
er hat Maschinenschlosserei gelernt -, merkt man den blockhaft, oft pyramidal aufgebauten Skulpturen mit
ihrer leichten Schrägbalancierung an. Sein plastisches Material sind Fundstücke. Er holt sich Eisenschrott,
Marmor- und Granitsteinabfall vom Friedhof und von der Straße. Ein Material mit Geschichte also, das er
nochmals verwandelt; so, wenn er Zinn in Stein hineintreibt und kammartig eine Eisenzahnleiste à la Gonzales
herausragen läßt.
Das Metall behandelt er bisweilen wie Ton, riffelt es auf, schichtet es wie eine Schieferlandschaft, färbt
es mit Flammen ein und funktioniert die Schweißnähte zu gliedernden Mustern um. Was dabei an Formkombinationen
entsteht, löst mitunter Assoziationen an einen Kopf aus, an ein Tier, einen Schädel. Plastische Relikte in
Betongußbildern erinnern an verwehte Steinzeitspuren und verwandeln sich ein zweitesmal in den monochromen
Prägedrucken. Letztlich zeigt sich, daß Friedrichs-Friedlaender dann besonders stark ist, wenn er
Formkombinationen sparsam einsetzt und nicht von technischer Raffinesse überwuchern läßt. Die Ausstellung
dauert, bis zum 2. August.
Annette Lettau