1982 – Nie offene Wunden

Heinz Ohff,, Manfred Schling bei Wewerka, in Tagesspiegel, 12.09.1982

Das Fabrikgebäude ist 1908 gebaut, von Bielenberg und Moser, die auch das Boschhaus in der Nähe, Bismarckstraße 71, entworfen haben. Es sollte eigentlich als Parkhaus dienen, aber Platz für Pferdefuhrwerke und Autos gab es damals wohl noch genug. Die spätjugendstilige Fassade ist angenehm weit vom wilhelminischen Historismus entfernt und wirkt trotz der fünf Geschosse immer noch elegant. Im zweiten Hof befindet sich die neue Galerie Wewerka, in einer weitläufigen Halle, die mit ihrem Glasdach in Ausmaß und Form an eine Basilika erinnert. Die roten Bodenfliesen, die die Bilder ein bißchen aufschlucken, gehören zur eigenwilligen Architektur. Was es in Berlin doch immer wieder für industrielle Räume gibt, die sich für Kunst-Zwecke eignen! Wie in der Dibbert-Galerie fährt man im Lasten-fahrstuhl hinauf in den 5. Stock und kommt sich wie verreist vor.
Wewerka hat hier schon Koichi Ono ausgestellt. Jetzt ist seine Neuentdeckung Manfred Schling an der Reihe, ein 31jähriger ehemaliger Thieler-Schüler und Karl-Hofer-Stipendiat (1980/81), dessen Bilder aussehen, als wären sie lange in der Erde vergraben gewesen. Sie scheinen erdig, rostig, sanddurchsetzt, was sie in gewisser Weise auch sind. Schon bei der Grundierung seiner Leinwände verwendet Schling Staub oder Sand und übergießt sie später mit durch Terpentin stark verdünnten Farben, die sich besonders in den mit dem Pinselstiel in die Grundierung gekratzten Schrift- und sonstigen Zeichen absetzen und diesen den Charakter von Mauerritzungen gibt oder Graffitti. Verwitterte und zerrissene Lappen oder Fetzen anderer Leinwände finden sich collagenhaft eingeklebt, auch weiße Papiere und Zeitungsseiten oder Eintrittskarten vorderasiatischer Museen, eine sehr sensible und gleichsam natürliche Art, Bilder herzustellen, die Morschheit, Verwitterung, von Abnutzungsprozessen, Beeinträchtigtes und Angegriffenes signalisieren. Der frühe Dubuffet und Tàpies könnten mit ihren schrundigen Malgründen diese Malweise beeinflusst oder angeregt haben, auch Thieler mit seinen Farbflüssen. Integriert in das sanfte Netz der Strukturen sind zusätzlich Spuren wieder abgelöster Einklebungen, aber auch mitunter, in Schreibschrift, der Titel des Bildes, unterm Gewitter oder nach Lage der Dinge.

Die Dinge lagern im übrigen bei Schling dicht am Rande des Poetischen, hüten sich aber, die Grenze zum reinen Lyrismus zu überschreiten. Im Jugendstilraum mit den roten Fliesen bekommen sie etwas leicht Sakrales, würden anderswo wahrscheinlich herber wirken. Schlings Kollege Dirk van der Meulen nennt die Bilder im Katalog „überlegt reduziert“. Und: „Nie offene Wunden, immer schon eingekrustet und verschorft, in die Malerei verwachsene Transplantationen.“